Samstag, 14. November 2009

Moderner Antisemitismus basiert auf antijüdischer Tradition der Christenheit

Hin und wieder liest man von der Behauptung, die katholische Kirche wäre von jüdischen Kräften unterwandert. Als Beleg wird die jüdische Herkunft einiger Päpste angeführt. Wie absurd das ist, sieht man an dem jahrhundertealten kirchlichen Antijudaismus, der noch bis ins letzte Jahrhundert reichte und dem erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein offizieller Schlusspunkt gesetzt wurde, sowie den fortwährenden Verwerfungen zwischen dem Vatikan und der jüdischen Gemeinde. Als Beispiele aus der jüngsten Zeitgeschichte wären zu nennen:

Der Protest der jüdischen Gemeinde gegen

- die lateinische Karfreitagsfürbitte
- die Seligsprechung von Papst Pius XII.
- die Aufhebung der Exkommunikation von Bischof Williamson der Pius-Bruderschaft

Holocaustleugner Horst Mahler behauptete vor seinem Gang ins Gefängnis gar, die „jüdischen Verschwörer” würden mit der Diskussion um Piusbruder Williamson „unseren” Papst und damit die gesamte Christenheit angreifen. Wie das mit einer angeblich jüdisch unterwanderten katholischen Kirche zusammenpassen soll, wie es zwar nicht von Mahler aber manchmal aus der selben Ecke behauptet wird, bleibt wohl ein Rätsel.

Die Aufhebung der Exkommunizierung der Pius-Brüder und des Holocaust-Leugners Williamson wurden in der Öffentlichkeit als eine Panne des Papstes dargestellt, der in diesem Fall einfach schlecht beraten gewesen sei. War das ein Versehen, oder steht dahinter eine bestimmte Haltung?

Alan Posener: Der Versuch, die Affäre um Williamson und die Pius-Brüder als Panne abzutun, war ein dummer Schachzug der Benedikt-Verteidiger. Denn wenn der Papst nicht weiß, was er tut, ist er als Papst ungeeignet. Ratzinger weiß aber natürlich sehr genau, was er tut. Er war schon als Chef der Glaubenskongregation mit der Frage der Pius-Brüder befasst und kennt ihre Schriften. Um es deutlich zu sagen: Die Pius-Bruderschaft ist keine konservative, sondern eine offen reaktionäre Vereinigung, die den kirchlichen Antijudaismus konserviert, die also mehr oder weniger institutionell antisemitisch ist. Die Bruderschaft befürwortet eine Abschaffung des weltlichen Staats und ihre Ersetzung durch eine Theokratie ähnlich der im Iran, die Drogen, Prostitution, Pornographie, Blasphemie, Homosexualität und so weiter verbieten und die Todesstrafe wieder einführen würde. Das weiß Benedikt, und trotzdem betreibt er die Annäherung an diese Leute und kommt ihnen weit entgegen, zum Beispiel mit der Aufwertung der lateinischen Liturgie, deren Abschaffung durch das Zweite Vatikanische Konzil vordergründig zur Abspaltung der Pius-Brüder von der Kirche geführt hat. In Wirklichkeit jedoch passte den Pius-Brüdern die ganze Richtung des Konzils nicht. Und sie passt Benedikt auch nicht.

[...]

Hat sich durch Papst Benedikt der Ton gegenüber den Juden verändert? Es gab ja heftige Kritik auf seine Rede in Ausschwitz...

Alan Posener: Nun ja, es gab auch Lob für diese Rede von jüdischer Seite, zum Beispiel von Henryk M. Broder. Er hat Benedikt dafür gelobt, das er vom "Bösen" gesprochen hat, was allerdings jeder Christ tut, wenn er das Vaterunser spricht. Und Auschwitz war eben nicht Ausdruck des "Bösen" schlechthin, sondern einer konkreten Ideologie, der Ideologie des Rassismus und Antisemitismus. Wobei der moderne Antisemitismus seinerseits auf einer zweitausendjährigen antijüdischen Tradition der Christenheit basiert. Davon allerdings hat Benedikt in Auschwitz ebensowenig gesprochen wie von der Schuld des Papstes Pius XII, der zum Holocaust schwieg, oder der Deutschen, die Hitler zur Macht verhalfen. Stattdessen stellte er die Deutschen als Opfer einer "kleinen Schar von Verbrechern" dar, und die Katholische Kirche als Bollwerk gegen den Nationalsozialismus. Hier wird Geschichte umgeschrieben.
Benedikt ist kein Antisemit, aber er leugnet die Verbindung von Antijudaismus und Antisemitismus, er ist blind und taub gegenüber der Kritik von jüdischer Seite, etwa an der Seligsprechung von Pius XII oder an der neuen lateinischen Karfreitagsfürbitte, in der die Katholiken für die Bekehrung der Juden zum Christentum beten.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31468/1.html

Rabbiner Homolka: „Die katholische Kirche hat ihre antisemitischen Tendenzen nicht im Griff”
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,542556,00.html

Homolka hat hier m.E. recht. Die Berechtigung hat weniger damit zu tun, dass sich die Juden als auserwähltes Volk nicht respektiert sehen, sondern damit, dass hier tatsächlich ein wunder Punkt angegangen, nämlich der historische Antijudaismus der Kirche wiederbelebt wurde. Bei der angesprochenen Karfreitagsfürbitte handelt es sich um eine Wiederzulassung einer alten, traditionell Konflikte heraufbeschwörenden Textpassage. Es ist anstelle wirklich versöhnlicher Worte – sie täuschen nur vor, welche zu sein – eine Betonung der religiösen Verschiedenheiten und m.E. auch ein deutliches, offiziell propagiertes Signal, dass man die jüdische Religion nicht als vollwertig ansieht. Warum man nun vorsätzlich in dieses Wespennest stechen musste, darüber mag jeder zu seinen eigenen Schlüssen kommen.

Die RKK hat sich nicht wirklich geändert, auch wenn es vielen so erscheinen mag. Viele alte Konzilsbeschlüsse sind stillschweigend weiterhin gültig. Der Vorwurf, die Juden wären „Gottesmörder” und Ähnliches, den dann die Nazis propagandistisch ausgeschlachtet haben, ist tatsächlich eine jahrhundertealte Doktrin der RKK, die offiziell erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil aufgehoben wurde. Christliche Kritiker wie z.B. Dave Hunt bezweifeln mitunter die Aufrichtigkeit der vorgeblichen Wandlung der RKK seit Vatikan II – und wurden von Papst Benedikt z.T. sogar bestätigt(*). Manche christliche Fundamentalisten in Amerika „beten” übrigens ebenfalls für die Juden, denen sie das Schicksal zugedenken, im Armageddon wahlweise zum wahren Glauben zu bekehren oder zur Hölle zu fahren. Die Unterstützung Israels und der Einmarsch in den Iran sind in dieser messianistischen Sichtweise lediglich auszunutzende Treppenstufen zum Ziel.

Auf der Webseite des Vatikans kann man auch ganz offiziell nachlesen, dass sich die RKK weiterhin für die einzige wahre Kirche hält. Im Endeffekt läuft es wohl darauf hinaus, dass alle die, die den Papst nicht als obersten Gottherrscher und die Doktrinen der RKK (z.B. Eucharistie, Abendmahlsliturgie) nicht als absolut gültig akzeptieren, als Häretiker anzusehen und entsprechend zu behandeln sind.

Am 31. März 2007 hat Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone die Gerüchte bestätigt, der Papst werde bald ein Motu proprio veröffentlichen, das den Priestern die Zelebration der vorkonziliaren Messe nach dem Missale Romanum von 1962 wieder allgemein erlaubt.

[...]

(1) Das Missale Romanum von 1962 enthält die Karfreitagsfürbitte "Für die Bekehrung der Juden" (Pro conversione Iudaeorum). Auch wenn in diesem Messbuch die die Juden abqualifizierenden Bezeichnungen "treulos" (perfidus) bzw. "Unglaube" (perfidia) gestrichen sind, entspricht die Karfreitagsfürbitte ansonsten der Textgestalt, wie sie in der Karfreitagsliturgie seit dem Mittelalter gebetet wurde. Dass von der "Verblendung" (obcaecatio) des jüdischen Volkes die Rede ist und dass es "in Finsternis" (tenebrae) wandle, widerspricht in eklatanter Weise der Konzilserklärung "Nostra aetate" [...]

[...]

Es liegt klar auf der Hand, was mit einer Wiederzulassung des Tridentinischen Messbuchs angerichtet würde: eine nachhaltige Störung des seit dem Zweiten Vatikanischen Konzils so hoffnungsvoll begonnenen katholisch-jüdischen Dialogs. Viele engagierte persönliche und auch theologische Bemühungen auf beiden Seiten würden mutwillig zunichte gemacht. Wir hoffen, dass Papst Benedikt XVI. diese Beschädigung der christlich-jüdischen Beziehungen nicht zulassen wird.

http://www.christenundjuden.org/de/?item=590

(*)
Benedict, who attended Vatican II as a young theologian, has long complained about what he considers the erroneous interpretation of the council by liberals, saying it was not a break from the past but rather a renewal of church tradition.

http://www.religionnewsblog.com/18698/catholic-church-2

Der Papst und die Juden
http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/460876

Constantine's Sword
http://v.youku.com/v_show/id_XNzAzMzY3MzI=.html